TRUMM, ZOK-Records, 2024
TRUMM
singular of TRÜMMER,
is the result of a two day recording session in an old industrial space in Aarau, Switzerland called WELLROCK, temporarily used as an atelier and performance space for interdisciplinary artists. Saxophonist Silke Strahl & clarinetist Kevin Sommer, started working together as a duo during the COVID-19 pandemic in 2020. Due to the crisis, they had to find alternative artistics outlets to the traditional concert formats and created two site specific projects, which mixed experimental improvised music with performance and installation art. Despite their enduring interest in working beyond the tried-and-true formulas of music making, they have held a desire to record their music in album-form for a long time. This led to a collaboration with musician and tinkerer Felix Nussbaumer of ZOK Records, who tried to capture the Duo’s music in a way that would match their broader artistic approach. The album was recorded in June 2024, while the neighboring building and part of WELLROCK itself were being demolished in order to make space for a new apartment building. Mixing field recordings, improvised music and some slight editing the album is a reflection of the interdisciplinary interests of the duo as well as the architectural environment with all its artistical, cultural and political implications.
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Juni 2024 - Ich komme an, bin müde von den intensiven Wochen davor. Lärm. Abrisslärm. Grosse Maschinen ziehen und reissen und fressen an einer Hauswand. Manchmal so stark, dass der Boden wackelt. Mir wird davon schlecht. Ich muss mich erst an alles gewöhnen.
Der Hall. Grossartig. Es spielt sich quasi von allein. Ich lass mich ein, auf den Lärm, auf das Wackeln, auf die Mikrofone, auf das gemeinsame Erforschen des Möglichen. Ich habe keine Erwartungen und bin voller Neugier. Das Ergebnis, zweitrangig. Und der Abriss des angrenzenden Hauses ist ein Glück. Es passt.
TRUMM ist ein Bruchstück, ein Extrakt aus dem Bruchstück, vielleicht sogar auch nur das Staubkorn des Extraktes, welches wir an zwei Tagen im Juni 2024 versucht haben einzufangen. Es ist eine Momentaufnahme unseres während und eigentlich auch Dank der Covid-19 Pandemie entstandenen gemeinsamen Schaffens als Duo.
Wie nimmt man experimentelle, improvisierte Musik auf? Wie werden diese flüchtigen Klänge zu festgehaltener Musik? Sind Aufnahmen von improvisierter Musik, die im Moment für den Moment entsteht, überhaupt wünschenswert? Falls ja, dienen sie der reinen Dokumentation dieses Momentes oder sind die Klänge nur die Knetmasse, aus der schlussendlich die festgehaltene Musik geformt wird?
Und an welchem Ort nimmt man diese Musik überhaupt auf? Vielleicht ist es gerade stimmig, so eine flüchtige, im Moment geschaffene Musik in einem Raum aufzunehmen, der seinerseits ebenfalls räumlich und zeitlich vergänglich ist? Der bald zu Teilen abgerissen, um- und neu gebaut wird? Der genau wie die darin entstandenen Klänge, bald nicht mehr wahrnehmbar ist, nicht mehr existiert?
In einem Gebäude Musik zu machen, das im selben Moment abgerissen wird, hat Sinnbildcharakter. Und mit “im selben Moment” ist hier nicht eine ungefähre, breit gefasste Gleichzeitigkeit gemeint, sondern eine effektive - während wir den Raum mit Klang füllten, zupfte ein gigantischer Abrisskran an dem Südflügel des Wellrock, knabberte an dessen asbestdurchzogenen Substanz, nicht einmal zehn Meter entfernt von der Fensterfront des Raums, in dem wir sassen.
Alles hier ist temporär, denn es geht um Kultur. Ähnlich wie das Mietgewerbe über zwei Jahrhunderte hinweg das Wohnen zugunsten virtueller Immobilienspekulation zu einer unsicheren, flüchtigen Angelegenheit verdrängt hat, geht es auch der Kultur an den Kragen. Es ist die Rede von Zwischennutzungen, Duldungen. Menschen, und der Ausdruck ihrer Menschlichkeit und Subjektivität, werden toleriert. Aber sie sind nicht vorgesehen. Vorgesehen sind Profite, und von Verdrängung kann nicht die Rede sein, denn wir hätten bereits von Anfang an nicht “bleiben” sollen. Die Zukunft ist ein Renditebunker, und sein Ablaufdatum in vierzig Jahren.
Prozesse wie Gentrifizierung, Verdrängung oder Marginalisierung sind schleichend. Was unsere Arbeit sein könnte, ist eine Art von sonic journalism, wie ihn Peter Cusack in seinem Buch “Sounds from Dangerous Places” umschreibt: ein Versuch, die Unmittelbarkeit dieser Phänomene aufzufangen, sie durch kleine Fund- und Versatzstücke hörbar zu machen. Ihnen Raum zu geben, genug Raum, damit Hörer*innen das komplexe Innenleben und die vielfältigen Zusammenhänge erfahren und dabei vielleicht mehr Hoffnung fassen können als wir, die mitten im Abriss sitzen – Kulturschaffende in einem Mauerwerk, das von aussen abgetragen wird. released September 30, 2024
credits
Silke Strahl - saxophone
Kevin Sommer - clarinet
Felix Nussbaumer - fieldrecordings, edit, mix
Recorded in 2024 at Wellrock Aarau.
IV. recorded in Christiane Hinrich's Kokon.
Texts by Kevin Sommer, Silke Strahl and Felix Nussbaumer.
Mastered by Weston Olencki.


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